Tinnitus und chronische Schmerzen haben ähnliche Ursachen im Gehirn

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  • Artikel: 30.09.2015

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Geräusche im Ohr und chronische Schmerzen scheinen in ähnlichen Regionen des Gehirns und durch ähnliche Mechanismen zu entstehen. Dies hat ein deutsch-amerikanisches Forscherteam mithilfe verschiedener Untersuchungsmethoden des Gehirns festgestellt.

Tinnitus und Schmerzen haben nicht nur die Gemeinsamkeit, dass sie „Phantom“-Empfindungen sein können. So werden beim Tinnitus Geräusche wahrgenommen, die objektiv nicht vorhanden sind. Und bei Phantomschmerzen empfinden die Betroffenen Schmerzen in Gliedmaßen, die gar nicht da sind – zum Beispiel in einem amputierten Bein. Bereits vor über 30 Jahren haben Forscher Ähnlichkeiten zwischen beiden Phänomenen beobachtet.

Nun hat ein Forscherteam um Josef Rauschecker und Markus Ploner von der Technischen Universität München (TUM) und dem Georgetown Medical Center (USA) ein Netzwerk im Gehirn entdeckt, das eine wesentliche Rolle bei der Regulation chronischer Schmerzen und bei Tinnitus zu spielen scheint. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Trends in Cognitive Sciences“ (Ausgabe 23. September).

Menschen, die unter Tinnitus leiden, haben oft ein Summen oder Brummen im Ohr, dessen Ursache im Gehirn liegt. Man nimmt an, dass diese Geräusche durch Fehlfunktionen in einem Gehirnsystem entstehen, das dafür zuständig ist, negative Sinnesreize auszublenden.

Die Wissenschaftler untersuchten mithilfe unterschiedlicher bildgebender Verfahren eine Reihe von Eigenschaften des Gehirns, unter anderem die Dichte der grauen Substanz – die die Zellkörper der Nervenzellen enthält – sowie funktionelle Netzwerke, also miteinander verbundene Hirnregionen, die für bestimmte Funktionen zuständig sind.

Gleiche Gehirnnetzwerke bei Tinnitus und chronischen Schmerzen aktiv

Dabei stellten die Forscher fest, dass bei der Entstehung von Tinnitus und chronischen Schmerzen das gleiche Netzwerk im Gehirn von Bedeutung ist. Dieses umfasst unter anderem das ventromediale Stirnhirn und den Nucleus Accumbens. Das Stirnhirn ist für die Steuerung von Handlungen und die Regulierung von Gefühlen zuständig, der Nuccleus Accumbens gehört zum „Belohnungssystem“ des Gehirns.

Bei beiden Erkrankungen beobachteten Rauschecker und sein Team einen deutlichen Verlust an grauer Substanz in diesen Hirnarealen. „Diese Regionen sind das zentrale ‚Torhüter‘-System für Sinnesempfindungen“, erläutert Rauschecker. „Sie bestimmten die emotionale Bewertung von Sinnesreizen und regeln den Informationsfluss im Gehirn. Tinnitus und chronische Schmerzen entstehen, wenn das System geschädigt ist.“ Diese können dann in einem Kreislauf, der sich selbst aufrechterhält, auch auf Dauer bestehen bleiben. Dabei spielen zwei Botenstoffe (Neurotransmitter) im Gehirn eine wichtige Rolle: Dopamin und Serotonin.

Die Kenntnis dieser Zusammenhänge könnte dazu beitragen, das individuelle Risiko für Tinnitus oder chronische Schmerzen besser abzuschätzen. Dies könnte es ermöglichen, frühzeitig vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen oder eine frühzeitige Behandlung einzuleiten – zum Beispiel eine kognitive Verhaltenstherapie, eine Physiotherapie oder eine medikamentöse Behandlung. „Ein besseres Verständnis der Prozesse kann auch zu gezielteren und individuell zugeschnittenen Therapieformen beitragen – mit den bisherigen oder neuartigen Behandlungsansätzen“, sagt Markus Ploner.

Allerdings seien weitere Studien notwendig, um offene Fragen zu beantworten – insbesondere, was die Behandlungsmöglichkeiten beider Störungsbilder angeht.

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