Die Kinderlähmung oder Poliomylelitis (Polio) ist eine Infektionskrankheit, die von Viren hervorgerufen wird und vor allem bei Kindern im Alter von drei bis acht Jahren auftritt. Sie befällt die Nervenzellen des Rückenmarks und führt so zu bleibenden Lähmungen. Seit der Entwicklung von Impfstoffen in den 1950er Jahren ist die Erkrankung in den westlichen Industrieländern nahezu ausgerottet. In Entwicklungsländern in Afrika oder Asien kommt es jedoch immer wieder zu Ausbrüchen der Erkrankung.
Zur Bekämpfung des Polio-Virus wird seit den 1950er Jahren meist eine Schluckimpfung mit einem abgeschwächten Lebendimpfstoff eingesetzt – vor allem deshalb, weil sie billiger und einfacher anzuwenden ist als eine Impfung mit Totimpfstoff, die gespritzt wird. Andererseits lässt der Impfschutz bei einer Schluckimpfung relativ schnell wieder nach, so dass in Abständen Auffrischungen notwendig sind – was in abgelegenen Gegenden oder Konfliktregionen oft schwierig ist. Zudem wird das Virus bei der Lebendimpfung über den Stuhl ausgeschieden und kann sich so möglicherweise weiter ausbreiten.
In ihrer neuen Studie untersuchten Hamid Jafari und sein Team von der World Health Organisation (WHO) nun, ob eine Kombination beider Impfstoffe die Immunität weiter verbessern kann. Dazu verabreichten die Forscher 954 Kindern in Nordindien zunächst entweder den Lebend- oder den Totimpfstoff. Vier Wochen später erhielten alle Kinder eine Dosis des Lebendimpfstoffs. Die Ergebnisse publizierten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Science“ (Ausgabe 22. August).
Immunität steigt und Ansteckungsgefahr sinkt
Bei Kindern, die als erstes den Totimpfstoff erhalten hatten, war die Immunität deutlich besser als bei Kindern, die zwei Mal mit Lebendimpfstoff geimpft wurden. Zudem wurden in der ersten Gruppe signifikant weniger Viren über den Stuhl ausgeschieden, so dass hier das Risiko, das Virus auf andere zu übertragen wird, deutlich geringer war.
Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, eine 50 Jahre alte Debatte über den geeignetsten Impfstoffs zu lösen. „Die Antwort ist nun sehr eindeutig“, sagt Roland Sutter, Koordinator für Polio-Forschung bei der WHO. „Beide Impfstoffe ergänzen sich und sollten gemeinsam eingesetzt werden, um so möglichst schnell und effektiv eine polio-freie Welt zu erreichen.“
Vor alle sollte der Totimpfstoff dazu verwendet werden, das Virus in Bevölkerungsgruppen auszurotten, die einen schlechten Zugang zu medizinischer Versorgung haben, betont Hamid Jafari. „Außerdem zeigt die Studie, dass der Totimpfstoff für Reisenden sinnvoll ist, um eine weitere internationale Ausbreitung des Virus zu verhindern.“ Denn heute tritt die Kinderlähmung vor allem in politisch instabilen und abgelegenen Regionen auf, etwa in Syrien oder im Irak. „Doch dort hält sie sich mit unglaublicher Hartnäckigkeit – und bedroht so auch die Menschen in Ländern, die zwar polio-frei sind, aber schwache oder von Konflikten beeinträchtigte Gesundheitssysteme haben“, so Jafari.
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