In der neuen Untersuchung wertete ein Forschungsteam um den Psychologen Winfried Rief von der Philipps-Universität Marburg 150 Studien zum Thema Depression aus. Dabei bezogen die Wissenschaftler Studien zur Wirkung von Placebos, Tierstudien und Untersuchungen zur Neuroplastizität ein. Als Neuroplastizität wird die Fähigkeit des Gehirns bezeichnet, sich durch neue Reize ständig zu verändern, also zu lernen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Neuroscience and Biobehavioral Reviews“.
Die Auswertung ergab, dass die Reaktion auf Placebos (Scheinmedikamente, die keinen Wirkstoff enthalten) oft sehr stark ausfällt – zum Teil genauso stark wie auf ein echtes Medikament. Dabei spielen die Erwartung des Patienten an die Behandlung, seine bisherigen Erfahrungen mit dem Medikament und die therapeutische Beziehung zwischen Arzt und Patient eine wichtige Rolle dabei, wie ein Medikament wirkt.
Die Analyse der Tierstudien zeigte, dass Antidepressiva im Gehirn eine Veränderung der Neuroplastizität anregen. Man nimmt an, dass das Gehirn in der Zeit der Umstrukturierung besonders empfänglich für Reize und Erfahrungen aus der Umgebung ist. Dabei beeinflusst die Art der Umgebungsbedingungen, wie Psychopharmaka wirken: Eine positive Umgebung mit vielen sozialen Kontakten kann den Behandlungsverlauf deutlich verbessern. Ungünstige Umwelten, zum Beispiel eine karge Umgebung und wenig soziale Kontakte, wirken sich dagegen ungünstig auf den Behandlungsverlauf mit Psychopharmaka aus.
Bei ungünstigen Umweltbedingungen: Besser keine Antidepressiva
„Das bedeutet, dass ungünstige Umwelteinflüsse die Medikamentenwirkung nicht nur abschwächen, sondern das Medikament sogar zur schädlichen Droge machen können“, sagt Winfried Rief. „Keine medikamentöse Behandlung wäre hier die bessere Alternative.“
Psychopharmaka seien möglicherweise nicht für jeden Betroffenen die geeignete Behandlungsform. „Für manche Patienten wäre es nach einer gründlichen Kosten-Nutzen-Abwägung besser, wenn sie eine Placebo-Medikation oder eine aktiv-abwartende Begleitung erhalten würden“, so Rief. Dies treffe vor allem auf Ersterkrankte mit mittelschwerer Depression und Patienten mit wenig unterstützenden Umgebungsbedingungen zu. Hier sollten Ärzte Antidepressiva zurückhaltender verordnen.
„Der Einsatz von Antidepressiva macht nur Sinn, wenn man begleitend schaut, dass positive Umgebungseinflüsse den Heilungsprozess unterstützen“, betont Rief. Einen wichtigen Beitrag dazu könne die Psychotherapie leisten. Dabei sollte eine auf die Störung abgestimmte Therapie stattfinden und zugleich weitere, allgemeine Maßnahmen durchgeführt werden – zum Beispiel, um die Sozialkontakte zu verbessern und die körperliche Aktivität zu steigern.
Schließlich könnten bekannte Placebo-Mechanismen den Heilungsverlauf einer Depression unterstützen. So kann eine positive therapeutische Beziehung positive Erwartungen zum Erfolg der Therapie wecken und mögliche Ängste und Befürchtungen entkräften.
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