mp Stuttgart - Fast jedes zweite Kind unter zehn Jahren erhält bei einem Arztbesuch in Deutschland ein Antibiotikum verschrieben, und dies oft ohne zwingenden medizinischen Grund. Eine Studie in dem Fachmagazin "Deutsche Medizinische Wochenschrift" (DMW) ergab, dass Hausärzte öfter als Kinderärzte unnötig zum Rezeptblock greifen. Dabei fördert die häufige Einnahme von Antibiotika die Ausbreitung resistenter Keime und vermutlich auch das vermehrte Auftreten von Allergien bei Kindern.
In Hessen erhielten im Jahr 2006 insgesamt 42 Prozent aller bei der AOK versicherten Kinder und Jugendlichen mindestens einmal ein Antibiotikum verordnet. In der Altersgruppe der Zwei- bis Vierjährigen waren es sogar 60 Prozent, berichtet Dr. Sascha Abbas von der Universität Köln, die eine Stichprobe von 47 000 Versicherten ausgewertet hat. Die Antibiotika wurden in vier von fünf Fällen von einem Kinder- oder Hausarzt verordnet.
Die Mediziner verschreiben die Antibiotika nicht nur zur Behandlung eindeutig von Bakterien ausgelösten Erkrankungen wie Scharlach, Lungenentzündung oder einer eitrigen Mittelohrentzündung. Hier ist der Einsatz von Antibiotika sinnvoll. Der häufigste Anlass für die Verordnung waren akute Infektionen der oberen und unteren Atemwege. Diese werden jedoch zu 90 Prozent von Viren ausgelöst, gegen die Antibiotika wirkungslos sind. Da aber Bakterien als Ursache nicht von vornherein ausgeschlossen werden können, verordnen viele Ärzte vorsichtshalber ein Antibiotikum. Ein weiterer Grund für den zu häufigen Einsatz von Antibiotika könnte nach Einschätzung von Dr. Abbas aber auch die Erwartungshaltung vieler Eltern sein. Studien haben laut dem Experten gezeigt, dass vor allem Eltern mit geringem Sozialstatus und niedrigem Bildungsniveau die Verordnung eines Antibiotikums erwarten. Doch trotz des zu häufigen Einsatzes von Antibiotika liegt Deutschland in Europa noch im Mittelfeld. In Frankreich würden Antibiotika, wenn auch mit rückläufiger Tendenz, deutlich häufiger eingesetzt, berichtet Professor Winfrid Kern von der Universität Freiburg. Dagegen seien die Niederlande und die Schweiz vorbildlich. Auch in Deutschland gebe es regionale Unterschiede. Spitzenreiter in der Verschreibung sind die westlichen Regionen, nahezu vorbildlich würden dagegen die Ärzte in den neuen Bundesländern Antibiotika verordnen. mp/niza
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